Wednesday, 15 December 2010

nutzloses Wissen ...

Vom Nutzen nutzlosen Wissens

Was österreichische Spar- und Wissenschaftspolitiker von einem Besuch des Princeton-Instituts lernen könnten: Die Debatte um die "Effizienz" der außer-universitären Forschung im Lichte amerikanischer Verhältnisse

Albert Einstein hat das Institut in Princeton, das ihm Zuflucht und Wirkungsstätte bot, weltberühmt gemacht. Dieses Jahr beging es sein 80. Bestandsjubiläum mit einer Reihe wissenschaftlicher Veranstaltungen zunächst im Bereich der Mathematik und Naturwissenschaften und zuletzt im November im Bereich der Sozial- und Geschichtswissenschaften.

Überragende Gelehrte wie der Österreicher Kurt Gödel, als der größte Logiker des 20. Jahrhunderts bezeichnet, zählten zu den Professoren des Instituts, ebenso wie die Mathematiker Hermann Weyl und John von Neumann, ein Pionier des Computerwesens, der Kunsthistoriker Erwin Panofsky, der Diplomat und Historiker George Kennan.

Der erste Direktor des Instituts, Abraham Flexner, ging von der Überzeugung aus, dass die hervorragendsten Forschungsleistungen vom ungeleiteten Wissensdrang, ja wie er sagte, von der Neugier forschender Persönlichkeiten ausgingen, also: keine Auftragsforschung, keine "angewandte" Forschung. Flexner veröffentlichte sein Credo unter dem provokativen Titel "The Usefulness of useless Knowledge" erstmals 1937. Die Anwendung, der "Nutzen" von Wissen, das dem Forschungsdrang hochbegabter Personen entsprungen ist, komme später - oder manchmal auch nicht.

Das ist bis heute die "Philosophie" des Instituts. Flexner gelang es 1930, ein reiches Geschwisterpaar aus New Jersey, Louis Bamberger und Caroline Fuld, die ihre Kaufhäuser an die Kaufhauskette Macy's verkauft hatten, von seinen Ideen zu überzeugen und sie zu einem ersten Beitrag von fünf Millionen Dollar zu bewegen. Flexner begann, das neue Institut mit Mathematikern und Physikern zu besetzen.

Der amerikanische Mathematiker Oswald Veblen war der erste Professor, Albert Einstein der zweite.1933 kamen John von Neumann und Kurt Gödel, 1934 und 1935 der Mathematiker Paul Dirac und der Physiker Wolfgang Pauli hinzu. Insgesamt 22 Nobelpreisträger haben am Institut gewirkt. Schrittweise wurde die Tätigkeit auf Teilbereiche der Humanwissenschaften ausgeweitet (Wirtschaftswissenschaften, historische Wissenschaften im weitesten Sinne, Philosophie und Sozialanthropologie).

Das Institut bildet keine Studierenden aus. Die 28 Professoren der vier "Schools" - Mathematik, Naturwissenschaften (insbesondere theoretische Physik, Astrophysik und Systembiologie) , Geschichtswissenschaften und Sozialwissenschaften - forschen, schreiben, publizieren und sind in engem Kontakt mit ihren Fachkollegen weltweit und mit Kollegen anderer Disziplinen im eigenen Institut. Zu den ständigen Professoren kommen jährlich etwa 190 "Members" aus aller Welt hinzu, die häufig etwa ein Jahr, manchmal kürzer, selten länger verweilen. Das sind vielfach jüngere Wissenschafter, besonders in Mathematik und den Naturwissenschaften, aber auch profilierte Gelehrte mittlerer oder älterer Jahrgänge ...

Fazit eines Besuchs in Princeton für die aktuelle Debatte um Österreichs Wissenschaftspolitik:

Erstens: Der Erfolg von "anwendungsfreier" Forschung der Spitzenklasse im Bereich von Mathematik und Naturwissenschaften und - bitte gleichberechtigt! - der Geschichts- und Sozialwissenschaften (spätere "Anwendungen" nicht ausgeschlossen!) ist all jenen, die die Wissenschaften in Österreich in Richtung anwendungsorientierter Forschung drängen und bedrängen, nachdrücklich in Erinnerung zu rufen.

Zweitens: Das Institut in Princeton ist ein staatsunabhängiges, vom amerikanischem Mäzenatentum ins Leben gerufenes und seither gefördertes Institut. Natürlich wird in Österreich sofort entgegnet: Die Verhältnisse sind ja hier ganz anders, dort sind das gewachsene Strukturen, hier gibt es das eben nicht. Ich entgegne: Nicht nur Musik und Kunst, wie (überwiegend) in Österreich üblich, verdienen Förderung. Und es gibt einige wenige Mäzene, die Wissenschaft in Österreich großzügig fördern: die Namen Hannes Androsch, Peter Bertalanffy oder Alfred Bader kommen einem da in den Sinn. Vielleicht könnten es mehr werden.

Drittens: Würde jemand in Amerika auf die Idee kommen, das Institute for Advanced Study an eine Universität "anzudocken" - etwa an jene in Princeton, zu der es übrigens beste Beziehungen gibt?

Die Antwort ist eindeutig. Institute in Österreich, die dem Arbeitsstil des Princetoner Instituts am ähnlichsten sind, wenn auch in viel kleinerem Maßstab, wie das Institut für die Wissenschaften vom Menschen, das Internationale Zentrum Kulturwissenschaften oder das Erwin-Schrödinger-Institut, würden wohl all das Fluidum verlieren, das die Gastforscher und Besucher dieser Institute so fasziniert, würden sie an einer viel schwerfälligeren Administration "andocken" müssen. (DER STANDARD-Printausgabe, 9.12.2010)

GERALD STOURZH ist emeritierter Universitätsprofessor für Geschichte der Neuzeit in Wien.

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